Wie leitet man eine Schule im 21. Jahrhundert?
- Deutschland hat ein Schulleiterproblem. Immer weniger Lehrkräfte wollen Schulleiter werden.
- Schulleitungen agieren stets im Team, doch ist das augenblickliche hierarchische Konzept, wie man eine Schule leitet, überhaupt noch zeitgemäß?
Vor ein paar Tagen suchte die katholische Edith-Stein-Realschule im mittelfränkischen Schillingsfürst per YouTube-Video nach einer neuen Schulleitung. Was auf den ersten Blick nach einer originellen Einzelmaßnahme aussieht, ist in Wahrheit trauriger Alltag. Immer weniger Lehrer wollen Schulleiter werden. In vielen Bundesländern bleiben derzeit zahlreiche Stellen unbesetzt. Und für die Zukunft sieht es nicht besser aus. Doch was schreckt die Lehrerinnen und Lehrer konkret ab? Warum sträuben sich viele von ihnen, diese Führungsaufgabe zu übernehmen? Glauben sie, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein? Ist das Gehalt nicht angemessen? Oder ist das Konzept, wie man heutzutage eine Schule leitet, vielleicht nicht mehr zeitgemäß?
Fakt ist: Deutschlandweit steigt in nahezu allen Schulformen aktuell der Bedarf an Schulleitungen enorm an. Viele Schulleiterinnen und Schulleiter gehen in den nächsten Jahren in Pension. Doch ihre potentiellen Nachfolger zögern. Das mag einerseits an der gewaltigen Aufgabe liegen, die man mit der Leitung einer Schule übernimmt. Der Umfang an Bürokratie, der einem als Schulleitung tagein tagaus auf den Schreibtisch flattert, schreckt viele Lehrerinnen und Lehrer von der verantwortungsvollen Aufgabe ab. Zumal das Unterrichten, das viele Lehrkräfte mögen, mit der Zeit auf der Strecke bleibt. Als Entschädigung gibt es dafür zwar mehr Geld, doch die Gehaltserhöhung ist im Vergleich mit dem Zuwachs an Verantwortung gering, an Grundschulen viel zu gering.
Schulleiter, Stellvertreter, Mitarbeiter
Dabei steht man als Schulleiter mit der Verantwortung schon lange nicht mehr allein. In der Regel teilt man sich die Leitung einer Schule mindestens mit einer zweiten Lehrkraft – der Stellvertretung. Ist die Schule größer, wird die Schulleitung erfahrungsgemäß von weiteren Lehrerinnen oder Lehrern, den sogenannten Mitarbeitern, unterstützt. Das Konzept, eine Schule in dieser Konstellation zu leiten, birgt einen richtigen Ansatz. Eine Schule – und sei sie auch noch so klein – kann und sollte man nur im Team leiten. Sich bei der Führung einer Schule abzustimmen und sie gemeinsam zu entwickeln, macht nicht nur Sinn, sondern auch Spaß. Zudem verhindert es, dass aus manchen Direktoren kleine Diktatoren werden.
So richtig der Teamgedanke auch heute im Jahr 2019 noch ist, stellt sich die Frage, ob die Rollenverteilung innerhalb eines Schulleiterteams noch zeitgemäß ist. In Zeiten von flachen Hierarchien, agiler Führung, digitaler Bildung und Arbeit 4.0 bin ich der Meinung, dass die klassische hierarchische Einteilung einer Schulleitung in Schulleiter, Stellvertreter und Mitarbeiter nicht mehr zeitgemäß ist. Doch wie könnte eine zeitgemäße Leitung einer Schule im 21. Jahrhundert aussehen?
Gemeinsam statt einsam
Da jedes Amt die Existenz der jeweils anderen Aufgabenbereiche bedingt, kann kein Teammitglied auf Dauer für sich allein bestehen und die Schule autonom leiten. Wie schon beim bekannten Muster „Schulleiter, Stellvertreter, Mitarbeiter“ steht auch bei diesem Modell der Teamgedanke im Vordergrund – allerdings mit einem gewaltigen Unterschied: Die fünf Teammitglieder begegnen sich stets auf Augenhöhe. Eine Hierarchie gibt es nicht.
Eine Schule im 21. Jahrhundert – im Zeitalter der Digitalisierung und des ständigen Wandels – zu leiten, bedeutet, sich von den Hierarchien der Industrialisierung endgültig zu verabschieden. Wer eine Schule im Team führen will, muss sich auf gleicher Ebene begegnen, um miteinander kooperieren und konstruktiv zusammenarbeiten zu können.
Vielleicht könnte dieses Modell, eine Schule zu leiten, den augenblicklichen Schulleitermangel in Deutschland auf lange Frist beheben – vorausgesetzt die Politik weiß auch um den echten Wert dieser verantwortungsvollen Aufgabe für unsere Gesellschaft.
Schulleitung 4.0 - das Modell
Das folgende Modell zeigt eine Möglichkeit auf, wie eine zeitgemäße Leitung einer Schule im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Es lehnt sich dabei eng das Ressortprinzip einer Regierung an und stützt sich auf insgesamt fünf „Ämter“, die an jeder Schule ernannt werden könnten, um im Schulleitungsteam zusammenzuwirken. Dementsprechend könnte eine Geschäftsverteilung wie folgt aussehen:
- Der Schulentwickler
Der Aufgabenbereich des Schulentwicklers gliedert sich in zwei Teile. Zum einen ist er derjenige, der das große Ganze – die Vision der Schule – im Auge behalten soll. Der Schulentwickler achtet darauf, dass die Schule langfristig auch genau dorthin steuert, wo sie auch hinwill. Zum anderen beschäftigt er sich die meiste Zeit (ca. 70%) über mit dem „Personal“ der Schule – mit den Lehrkräften und Schülern. Der Schulentwickler ist nämlich zugleich auch der Menschenentwickler der Schule. Er führt Schüler- und Mitarbeitergespräche und fördert und fordert sie in Abstimmung mit den anderen Mitgliedern seines Teams.
- Der Schulmanager
In das Ressort des Schulmanagers fällt quasi alles, was mit der Organisation und Verwaltung einer Schule zu tun hat. Bei ihm laufen sämtliche bürokratischen Fäden zusammen. Dabei managt er nicht nur den Vertretungs- und den Stundenplan, sondern auch das Gebäude. Darüber hinaus hat er den Überblick über das Budget und die Finanzen der Schule und informiert die Lehrkräfte und die Schüler über alles Wissenswerte, was an der Schule läuft. Damit füttert er auch die Website der Schule und leitet Informationen auch auf anderem Wege nach außen – an die Eltern, an die Presse, an die Öffentlichkeit. Selbstverständlich kann er das alles nicht alleine bewältigen. Deshalb verfügt er über ein Team, das ihn in allen Bereichen tatkräftig unterstützt. Nur so gelingt es ihm, stets den Überblick über die Organisation und Verwaltung der Schule zu behalten.
- Der pädagogisch-didaktische Leiter
Wie der Name es schon verrät, kümmert sich der pädagogische und didaktische Leiter vorrangig um alle Themen und Fragen, die mit dem Kerngeschäft der Schule, dem Unterricht zusammenhängen. Dabei ist er einerseits für die Qualität des Unterrichts verantwortlich, sorgt andererseits aber auch dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen an der Schule eng miteinander kooperieren und sich auch fächer- und klassenübergreifend miteinander vernetzen. Der pädagogische und didaktische Leiter entwickelt, prüft und evaluiert Unterrichtsmethoden und -konzepte und stimmt den Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte darauf ab. In seinen Händen liegt demnach auch das Fortbildungsmanagement der Kolleginnen und Kollegen. Er organisiert schulinterne Fortbildungen und entwickelt das Kollegium sowie deren Unterricht weiter.
- Der Schuldenker
Den Schuldenker könnte man gewissermaßen mit dem Hofnarren von einst vergleichen. Er hat die Lizenz zum „Spinnen“ und die Möglichkeit, Ideen aufzugreifen, gedeihen und reifen zu lassen. Wann immer es ein Problem an der Schule gibt, darf der Schuldenker Lösungen ausprobieren. Von seinem Erfolg profitieren alle. Scheitert er, ist ihm keiner böse – im Gegenteil. Denn aus seinen Fehlern lernen alle. Der Schuldenker ist die Inspirations- und Innovationsquelle der Schule. Wann immer er eine Idee hat, die er für umsetzbar hält, sucht er sich ein Team von freiwilligen Lehrkräften aus, die ihn dabei unterstützen, seine Pläne in die Tat umzusetzen.
- Der Schulcoach
Der Schulcoach ist der stille und heimliche Begleiter des Schulalltags auf der Führungsebene. Ihm liegt vordergründig das Wohlergehen aller am Herzen. Wenn nötig, baut er dort wieder Brücken, wo nur noch Pfeiler übrig sind. Der Schulcoach ist eine Art Vermittler und Moderator in einem, der die Konflikte innerhalb des Kollegiums bzw. der Schülerschaft, zwischen Schülern und Lehrkräften oder zwischen Lehrkräften und Eltern managt. Darüber hinaus motiviert er die Schüler wie die Lehrer der Schule und sorgt für ihr Wohlbefinden.